Wie konstruiert man z.B. den Buchstaben „S“?
Man beginnt irgendwo im freien Raum. Die Platzierung des fertigen Buchstabens passiert erst ganz am Ende. Man verzichtet zunächst auf Bemaßungen.
Schritt 1
Man überlegt sich, was die absolut unveränderlichen Merkmale sind:
- zwei Halbbögen, die sauber anschließen (Tangentialbedingung)
- gleichmäßige Dicke: wir brauchen also je zwei konzentrische Halbbögen für oben und unten. Achtung: der äußere obere Bogen muss mit dem unteren inneren Bogen verbunden werden; wir haben also auch zwei Tangentialbedingungen.
- Die Abschlusskanten des „S“ oben rechts und unten links sollen in Richtung ihres Kreismittelpunkts zeigen: Also konstruiert man Hilfslinien (Konstruktionslinien) als Radien der Halbbögen und zwingt die Endpunkte der Bögen auf diese Linien
- dann verbindet man die Endpunkte der Bögen, um eine geschlossene Form herzustellen
Wenn man diese Merkmale festgelegt hat, besitzt die Zeichnung noch sehr viele Freiheitsgrade. Man sollte in dieser Phase an allen möglichen Stellen (Hilfslinien, Bögen, Punkte) leicht herumziehen, um zu spüren, was passiert.
Schritt 2
- Soll das S genau aufrecht stehen? Wenn es evtl. auch leicht schräg liegen soll (Kursivschrift), brauchen wir eine Hilfslinie durch die Bogenmittelpunkte, deren Winkel wir festlegen können.
- Sollen die Halbbögen genau gleich groß sein? Vielleicht ja, vielleicht sieht ein Größenverhältnis von 45 (oben zu 55 (unten) aber auch ganz gut aus?
- Wo sollen die Halbbögen enden? Vielleicht sollen die Winkel, welche die Abschlusskanten des „S“ zu ihren Kreismittelpunkten bilden, genau gleich groß sein? Vielleicht sieht es aber besser aus, wenn der untere Bogen etwas weiter „herumgezogen“ ist als der obere?
- Wir sollten eine Basislinie ergänzen: Also zeichnen wir eine Hilfslinie, die waagerecht ist und tangential den unteren Halbbogen berührt.
Um einen besseren Eindruck zu bekommen, extrudieren wir die Zeichnung nach hinten bzw unten und wechseln danach wieder in den Zeichnungsmodus. Jetzt sieht das Ganze ungefähr so aus:
Die Originalzeichnung ansehen ..
Schritt 3
Im nächsten Schritt überlegt man, ob das Objekt skalierbar sein soll. In unserem Fall bietet es sich an, die SCHRIFTHÖHE als Bezugseinheit zu verwenden. Also definieren wie eine Variable namens #height und weisen ihr einen Wert von z.B. 100 mm zu. Achtung: Die Variable muss VOR der Skizze definiert werden, in der man sie benutzt. Um die Schrifthöhe in der Zeichnung eintragen zu können, benötigen wir eine zweite waagerechte Hilfslinie, welche das „S“ am oberen äußeren Bogen tangential berührt.
Jetzt können wir auch z.B. die Dicke des Buchstabens als 10% von #height festlegen; analog bestimmen wir die Größe der Halbbögen. Sobald wir den Radius eines Bogens festlegen, ergeben sich die Radien der anderen drei automatisch durch die Zwangsbedingungen, die wir festgelegt haben; wir legen z.B. den oberen äußeren Halbbogen auf 26% von #height fest. Der Durchmesser beträgt dann 52% der Schrifthöhe; der innere Halbbogen ergibt sich durch die Dicke zu 42%; damit beträgt der mittlere („optische“) Durchmesser 47%. Entsprechend ist der mittlere Durchmesser des unteren „S“-Bogens 53%. Der obere Bogen ist also knapp 10% kleiner als der untere.
Wenn wir später die Variable #height ändern, so wächst oder schrumpft der Buchstabe und behält dennoch seine Proportionen bei. Ändern wir die Dicke, so verschieben sich die Proportionen zwischen den Bogendurchmessern. Wir könnten dies vermeiden, indem wir für die Dicke eine zweite Variable (#thickness) benutzen und deren Wert in die Berechnung der Bogendurchmesser einfließen lassen.
Schritt 4
Nun verschiebt man den Buchstaben an die gewünschte Stelle, legt die Winkel fest und am Ende ist alles vollständig bestimmt, d.h. die Linien werden schwarz.
Schritt 5
Noch ein wenig komplizierter wird es, wenn man Serifen hinzu konstruieren möchte.
Zweckmäßigerweise legt man deren Breite und Dicke als Vielfache der #thickness fest. Man muss die bisherigen Abschlusskanten des Buchstabens entfernen und durch einen Linienzug ein Rechteck hinzukonstruieren. Dann nutzt man die „Zeichnungsverrundung“, um weiche Übergänge zu erzielen und über Gleichheitsbeziehungen zwischen den geraden Strecken der Serifen sorgt man für Symmetrie.
Wenn man nun den Buchstaben dreht (durch Änderung am Winkel der Hochachse) oder die thickness ändert, passen sich die Serifen auf natürliche Weise an.
Ein Beispiel für eine Serife findet sich hier in Onshape.